Deppner: Wasser ...

Wasser, Fluß und Meer – Folie, Glas und Licht

 

I.
Wasser ist eines jener elementaren Substanzen, die aus der Kunst und ihrer Geschichte nicht wegzudenken sind. In der Kunst in allen denkbaren Formen präsent, als Allegorie und Symbol, als romantisches Motiv und Sehnsuchtsort, als Objekt und Material, pur und in Kombinationen mit anderen Elementen, in Konfigurationen und Performances, als Video-Bild und als Gemälde, begleitet es die Sinne zu weiterführender Erkenntnis. Zum Bild gewordene Wasserlandschaften lassen den Blick imaginativ aufs Meer schweifen, herausgefordert von jenem Erhabenheitsparadigma, das die Erfahrungserschütterung vor der Unfassbarkeit der Größe und der Weite des Horizonts zur Geistesgegenwart steigern hilft. Daran haben sich die Individuen vergangener Jahrhunderte aufgerichtet, haben in Gedanken die Meere befahren und Länder erobert.

Wasserverläufe in höfischen Gärten, Brunnenanlagen in den Städten, Fluss- und Meeresmotive auf den Gemälden sind dieser die Fantasie fördernden Allgegenwart des Wassers geschuldet und bezeugen eine vielgestaltige Zuwendung unserer Kultur zu jenem Element, das für Leben und Reinheit steht, aber auch in seiner bewegten Form Metapher für das Denken geworden ist. Das „alles fließt“ der griechischen Philosophie wird begleitet von der Erkenntnis, dass man nie zweimal in den gleichen Fluss steigen kann und die Philosophie , so Nietzsche, eigentlich auf die vom bewegtem Wasser umspülten Schiffe gehört, um festgefahrene Situationen zu vermeiden. Diesem Horizont sind dann die vielen Irrfahrten zuzuordnen und die Schiffbrüche, die vor der Tücke des Meeres warnen und den Zuschauer auf den Plan rufen, der aus der sicheren Perspektive gedanklich zusammensetzt, was das Element Wasser im Verbund mit dem Element Luft zerzauste bis zur „Spurlosigkeit der auf dem Meer gezogenen Bahnen“ (Hans Blumenberg).

Und weil das Wasser als vielfältiges Lebenselexier auch in seiner „stillen“ Form zum Denken Anlass gibt , ist das „stille Wasser“ nicht nur für den Volksmund „tief“. Gemeint ist das Schweigen als bedeutungsvolle Spur tiefgründiger Inhalte, meist persönlicher, ja intimer. Aber was macht die Tiefe aus, wie ist sie zu ergründen? Ergründung ist immer auch Deutung und schon Sigmund Freud wollte die Tiefenschichten des Bewusstseins durch Deutung an die Oberfläche bringen, mit emanzipatorischem Anspruch.

II.
Ute Seifert liefert uns mehre Schichten und Formen einer repräsentierten Stille, eine, die vor allem über verpackte Spuren führt und uns das Material Wasser nicht ungeschützt und uninterpretiert vor Augen führt. Denn in den von ihr gelegten Spuren ist auch enthalten, was das bewegende, ja stürmische Wasser an Geschichten zu erzählen hat, Geschichten über die Essenz des Lebens. Bereits in früheren Ausstellungen, so in Stade im Jahr 2006, zeigte die Künstlerin Photographien mit fast schwarzen Wassertropfen und ließ sie in einer Begegnung auf ein graublaues Aquarell treffen. Objektkästen enthielten „heiliges“ Wasser aus Lourdes. Dazu kamen Ausschnitte von alten Schul-Landkarten, Lang und Meer, Erde und Wasser bezeichnend. Transparente Wasserbeutel korrespondierten mit Photos dieser von Folie ummäntelten Wasserproben, Licht reflektierend bzw. aus Licht erzeugt.

Für Ute Seifert ist Wasser vor allem Verbindung., Verbindung die das zusammenfließende Wasser herstellt, Verbindung die von Menschen in der Kommunikation über das Wasser erreicht wird. Sie sammelt seit Jahren Wasser, und fordert andere auf, ihr von unterschiedlichen Orten der Erde Wasser mitzubringen. Das Sammeln wird so auch zu einem Akt kommunikativen Handelns, der in das Konzept des mehr an einem Laboratorium ausgerichteten Ergründens, als humanes Zeichen eingeführt wird. Das Wasser wird entnommen aus Quellen, Bächen, Flüssen, Seen, Meeren, Ozeanen und dem Grundwasser. Dieses gesammelte Wasser wird dann zu immer gleichen Einheiten als Bestandteil der Arbeit verarbeitet, archiviert.

In glasklare Folie eingeschweißt, im Format von 30 x30 cm, misst der Wasseranteil 0,5 Liter. Die Archivierung mit Angaben zu Gewässer, Ort und Entnahmezeit
weisen auf die Verwertung, gegen die das ästhetische Erlebnis Wasser, selbst im Korsett der Verwaltung, sich zu wehren vermag. Das auf dem Boden und in Regalen platzierte Archivmaterial Wasser bringt nicht zuletzt durch seine reflektierenden Eigenschaften sehr feine Farbunterschiede zur Anschauung. Ein zusätzliches Seh- und Denkfeld wird eröffnet, indem die Gewässernamen in analoger Ordnung zu der Bodenarbeit gezeigt werden.

Ferner ist auf einem quadratischen Rahmen mit den Maßen 1,00 m x 1,00 m eine große transparente Folie aufgespannt. Auch diese Folie ist befüllt mit klarem Wasser. Durch das Gewicht des Wassers dehnt sich das Wasserobjekt bauchig um einige Zentimeter nach unten. Befestigt an einer Nylonschnur schwebt alles frei im Raum: Wasser in der Luft, als großer Tropfen ins Licht gestellt. Spiegelungen entstehen, zugleich erzeugt die lupenartige Wirkung des Wassers Verschiebungen in der Raumwahrnehmung. Jede Erschütterung durch Begehen des Fußbodens oder anderer Art versetzt das Wasser zu leiser Vibration. In diesem Störmoment schwingt nach, was die Stille verbirgt: entfesselbare Energie.

Eine Zusammenstellung so unterschiedlicher Objekten und Materialien zu einem Thema fordert eine Einstellung, die sich von der Präsentation einer Gattung, der Gattung Malerei, Fotografie oder Objekt beispielsweise, unterscheidet. Darüber hinaus haben wir es weder mit den Bildern von einer Sache noch nur mit den Sachen selbst zu tun, sondern mit beidem, was etwa die Präsenz des Wassers und die gleichzeitige Präsentation der Fotos mit Wassermotiven belegen mag. Soll das Eine das Andere nicht nur durch Ähnlichkeit zudecken und schließen, will sagen unspektakulär zuordnen, so sind Überschneidungen der sich berührenden, korrespondierenden nicht aber sich gegenseitig aufhebenden Art zu suchen, Überschneidungen, die sich – wahrnehmungstechnisch gesehen – in den Raum hinein öffnen und sich nicht einschließen, die uns Zugang gewähren, uns umgeben und unsere Erfahrung suchen.

Das bedeutet zunächst nichts anderes, als dass wir nach dem Wahrnehmen der Gegenstände und Ausstellungsstücke diese im Einzelnen auf ihre Wirkung hin befragen und dann auch benennen, um über die Ähnlichkeit hinaus zu erkennen, was wir gesehen haben. Die Künstlerin hat die ausgestellten Dinge einer Ordnung unterzogen, einer Ordnung, der wir erst einmal folgen müssen, um die Differenzen zu entdecken, die uns weitere Auskünfte über die Spannungen geben können, denen die Objekte, Materialien und Bilder einerseits ausgesetzt sind und die uns jene Impulse liefern, die eine Einbeziehung der Betrachtenden ermöglicht.

Was sehen wir? Wir sehen Objekte und Materialien, Bilder und Spiegelungen, denen wir die uns bekannten Begriffe zuordnen können: Wasser, Folie, und Fotografien, sowie Merkmale des Archivierens. Wir sehen zugleich Objekte, die die Materialität ihrer Zuständigkeit nicht verbergen, sondern die Form soweit reduziert haben, dass die Materialsubstanz tragend zur Wirkung gelangt. Diesem künstlerischen Impuls gilt es offensichtlich auf die Spur zu kommen, auf die Spur des Wassers und der Kunststofffolien. Darüber hinaus sehen wir Bilder, die Zeichen und Spuren dieser Materialien entfalten und auf diese verweisen oder irgendwie – auf einer anderen Ebene als der der Unmittelbarkeit –mit diesen Materialien und Substanzen im Kontakt stehen.

Bevor wir aber zu deuten versuchen, was es mit dieser Materialpräsenz und einer damit korrespondieren Bildlichkeit auf sich hat, gilt es Bestimmungen der einzelnen Akzente vorzunehmen, die materiell wie inhaltlich von der Künstlerin zusammengestellt worden sind. Mit der zuordnenden Konnotation „still“ – die Künstlerin hätte ja auch bewegte oder gar stürmische Wasser inszenieren können – mit der zuordnenden Konnotation „still“ ist etwas persönliches, etwas im Selbst Verborgenes angedeutet. Damit verweist diese Benennung der Ausstellung nicht nur auf die Materie Wasser, sondern zugleich auf den Prozess der Individuation und zwar im Kontext einer Dingwelt als Fokus.

III.
Philosophisch gewendet wäre das die Frage nach der Subjekt-Objekt- Beziehung, die auf das Selbst wie auf das Ding verweist und Zwischenräume, auch jene zur Existenz des Anderen – je nach Lesart – entweder ausklammert oder einklagt. .Isolation stünde hier somit einem Netzwerk von Kontexten gegenüber oder aber: die Isolation von Individuum und Ding lässt über die Notwendigkeit von Kontexten nachdenken. Und damit über die Repräsentation von Dingen als Grundbedingung von Kommunikation, und somit u.a. über das repräsentierende Bild. Denn wie könnten wir kommunizieren ohne Sprache, Schrift, Bilder und Gesten? Hier wäre eine der sich nicht deckenden, zugleich aber aufeinander angewiesenen Überschneidungen gefunden, aus denen die Ausstellung ihre Spannung bezieht, eine Überschneidung der Gleichursprünglichkeit von Objekt und Bild, dessen gemeinsamer Anfang im Elementaren des Materiellen zu suchen ist.

Kommen wir zu dem Elementaren, auf das sich die Vernetzung stützen könnte. Die künstlerischen Materialien von Ute Seifert sind hier vor allem Wasser, Kunststoff-Folie und auch Licht. Gemeinsam ist diesen Materialien, dass sie mit der Transparenz zu tun haben und somit ihre Substanz eine Substanz des Übergangs ist, der Wahrnehmung des Einen und des Anderen. Thematisiert ist damit die Materialität als solche und der Blick, der diese Materialität durchstreift und etwas anderes dahinter erkennen lässt. Insofern ist das fotografische Lichtbild das hier die Materialien begleitet, ist der diesen Fotografien zu Grunde liegende fotografische Film, eine transparente Nahtstelle in dem Werk Ute Seifert, eine Nahtstelle zwischen dem Materiellen und dem Immateriellen. Hält doch die Fotografie den verschwundenen Blick eines Moments fest, jener Seheindruck, der als Ausschnitt auf belichtetem Papier in Erscheinung tritt: Ein Bild von einem Ding, das durch Licht sich ereignet und als Lichtbild – etwa als Dia oder Filmbild – zu seinem ausschnitthaften Erscheinungsbild auch auf das durchscheinende Licht angewiesen ist. Ferner fungiert hier das Foto auch als Beweis der künstlerischen Tat. Authentizität wird zu jener Spur, die auf die Orte der Entnahme verweist – eine beliebige Wasserentnahme zurückweisend.

Ute Seiferts Objekt-Installation „Stille Wasser“ operiert demnach mit den Materialien auf zweierlei Art; zum einen vergegenwärtigt sie die Materialien als Dinge von Substanz und geografischem Ort, zugleich lässt sie deren Eigenschaft zum Zuge kommen, die einen Übergang zum Immateriellen ermöglichen. Das Bindestück dazu ist das Bild, genauer, das fotografische Bild, das ja bekanntlich gewandelte Materie, gewandeltes Licht ist und somit nicht mehr die Sache selbst sondern ein Zeichen, eine Erinnerungsspur, die eine emotional aufgeladene Ähnlichkeit davon verkörpert.

Das Bedarf der Erläuterung, operiert doch auch Ute Seifert nicht im kunst- und erkenntnislosen Raum. Die Künstlerin greift auf Kenntnisse zurück, die sich u.a. um die Verwendung der Materialien im künstlerischen Kontext ranken. Mit Wasser beispielsweise haben wir eine Materie vor uns, die zu den klassischen 4 Elementen gehört, aus denen ja bekanntlich – antiker Anschauung zufolge – die Welt zusammengesetzt sein soll, aus Erde, Feuer, Wasser und Luft. Und dieser Bezug ist Ute Seifert wichtig, wichtig insofern, weil das Überleiten in eine andere Substanz der Wahrnehmung, wie sie das Denken und damit das Deuten darstellt, einen energetischen oder in diesem Fall einen – mit der Deutungsgeschichte des Wassers verbundenen – Lebensimpuls freisetzt, den sie in früheren Installationen mit der Farbe Rot und der damit verbundenen Assoziation zum Element Feuer sowie dem Lebenselexier Blut verdichtet hat.

Das Einbeziehen des Bildes in diesem Zusammenhang – sei es nun auf Feuer oder Wasser bezogen – offenbart denn auch das Einbeziehen jener magischen Impulse, die im Bild ihren, die Elemente ebenso beschwörenden wie Erkenntnis suchenden Ausdruck gefunden haben. Das Bild wird hier entsprechend in ein Netz aus Bildergläubigkeit und Erkenntnisweg verspannt und befragt. Es ist eine Bildbefragung mit Elementen und Materialien, die auch ohne Bild existieren, diesem aber auf vielfältige Weise verbunden sind, ist doch auch jede Materialität pur auf das Zeichen transportierende Bild und auf den erkennenden Diskurs angewiesen.

IV.
Beginnen wir die Materialkunde als lexikalischen Diskurs mit dem hier mehrfach thematisierten Wasser, so wird schnell deutlich, dass dieser Wissenskomplex sich auch in der künstlerischen und bildhaften Rezeption niedergeschlagen hat. Wasser, so das Lexikon des künstlerischen Materials, Wasser wird in den meisten Kulturen „seit alters her als lebensspendendes Element und Symbol der Reinheit geschätzt. Quellen wurden gefasst, und bildhauerisch gestaltete Brunnen blieben lange Zeit zentrale Orte menschlicher Siedlungen. Wasserspiele waren schon in der Antike Ausdruck von Verfügbarkeit und Beherrschung des Naturstoffs. In Gärten wie denen der Villa d´Este in Tivoli oder der Kasseler Wilhelmshöhe führen bis heute Bassins, Fontänen, Kaskaden oder Wasserorgeln das optische, haptische, akustische und mechanische Potential der bezwungenen Naturgewalt vor…“ Und im Meyers Konversations-Lexikon von 19o9 heißt es:“ Wasser H2O findet sich im flüssigen und starren Zustand (als Eis) allgemein verbreitet in der Natur, gasförmig in der Atmosphäre, ferner als Hauptbestandteil der Pflanzen – und Tierkörpers und, chemisch gebunden, auch in vielen Mineralien.“ Für Leonardo da Vinci war Wasser das zweitschwerste unter den Elementen „und das zweite an Unbeständigkeit…. gern steigt es bei Hitze als feiner Dampf in die Luft: die Kälte lässt es gefrieren, der Stillstand verderben… Jeden Geruch, jede Farbe und jeden Geschmack nimmt es an, und aus sich selbst hat es nichts… Mit einem Schwung oder Sprung kann es in die Höhe schnellen, wie es sonst fällt …“ Und spätesten seit der in Hamburg gegenwärtig durchgeführten Wählerbefragung zur Privatisierung der Wasserwerke wissen wir, das Wasser so kostbar geworden ist, das es bald zum Spekulations-Objekt werden könnte. Vom Lebenselexier mit zahlreichen Eigenschaften und unterschiedlichen Zuständen ausgestattet wird es so zu einem Element des Übergangs von Natur zu Kultur, hier zu einem Element der Transparenz, symbolisch aber auch zu einem Element des Übergangs von greifbarer Materialität und simuliertem Tausch.
Transparenz war auch das ästhetische Signal einer früheren Arbeit Wenn Wasser wäre, Buxtehude 2001, die mit der Bezeichnung Denkraum das Ineinandergreifen transparent gewordener Gedankenschichten mit dem Material Glas veranschaulichte.
Glas, das als Obsidian und Bims auch in der Natur vorkommt, wird durch Schmelzen von Quarzsand, Soda und gebranntem Kalk gewonnen und kann durch Beimengen von Metalloxiden gefärbt oder in seinen Bearbeitungs- und Lichtbrechungseigenschaften beeinflusst werden. Physikalisch definiert ist Glas eine unterkühlte Flüssigkeit, da es aushärtet, ohne auf der molekularen Ebene die für feste Körper charakteristische Kristallstruktur auszubilden. Das nach dem Erkalten spröde und fragile Material ist in zähflüssigem Zustand vielgestaltig formbar, kann zu Hohlkörpern geblasen, zu Scheiben gegossen oder in dünnste Fasern gezogen werden. Glasscheiben in Form von Fensterglas kamen in den Kirchenbauten der Gotik erstmals große Bedeutung zu. Die Transparenz sowie die Lichtbrechungs- und Reflexionseigenschaften, die Glätte wie die Fragilität haben viele Künstler der Moderne herausgefordert, Glas zu verwenden. Ute Seifert stellt hier auch das Glas in die transparenten Zonen des Übergangs zu denen sich neben den Umgestaltungspotentialen von Natur und Kultur auch die Zonen zwischen Alltäglichkeit und Sakralraum gesellen.

Die verwendeten Kunststofffolien unterschiedlichen Zuschnitts und Gebrauchszusammenhangs, wie sie hier von Ute Seifert verwendet werden, sind optisch zwischen Wasser und Glas angesiedelt, materiell ergibt sich jedoch ein Bezug zum Film und damit zur Lichtbildnerei, zu der hier ebenfalls thematisierten Fotografie. Der erste Kunststoff in diesem Zusammenhang ist Zelluloid, ein Kunststoff der inzwischen durch andere mit verbesserten Eigenschaften ersetzt wurde, um dessen Eigenschaften es heute aber immer noch geht. Zelluloid ist kaum älter als der Film. Um 1870 führte eine Reihe chemischer Versuche zur Patentierung und industriellen Produktion von Zelluloid, das aus der Vermischung von Nitrozellulose mit Weichmachern wie Kampfer und Lösungsmitteln gewonnen wurde. Zelluloid wurde ein beliebter Ersatzstoff und vor allem aufgrund der transparenten Eigenschaften zum Grundmaterials des Films mit den auch Bauhaus-Künstler wie Laszlo Moholy Nagy experimentierten. Licht, Projektor, Zelluloid, Projektor, Leinwand, Raum bilden seitdem eine Höhle des Scheinbildes, jenes Bildes, was die Dinge zeigt, ihre Materialität aber in einer Licht-Schatten-Gestalt überwindet.

Licht: „Die von einer Lichtquelle ausgehende elektromagnetische Strahlung erscheint körper-, zeit- und formlos. Licht weist nicht nur die herkömmliche Vorstellung von Material als festem Stoff zurück, sondern negiert damit auch dessen Beständigkeit, Im Unterschied zu vielen künstlerischen Materialien“ – so das Lexikon des künstlerischen Materials – deren künstlerische Gestaltung bis in die Antike zurückreicht, ist Licht als primäres Material künstlerischer Gestaltung eine Erscheinung des 20. Jahrhunderts. Als der immaterielle und ephemere (flüchtige) Stoff schlechthin vertritt Licht die Materialkultur der Moderne. Dennoch besitzt sie eine jahrtausendelange, kulturübergreifende Tradition – besonders im religiösen Kontext.

V.
Ute Seifert verwendet das Licht nicht in dem Sinne einer Materialkunst, sondern eher als Verweis auf den kulturübergreifenden Kontext der Erleuchtung. Mit Licht ist für sie ein Erkennen des Selbst verbunden. Entsprechend ist in der, „Lichtung“ genannten Installation, das Personalpronomen „ich“ als Anagram eingegliedert – was zugleich die Schaffung eines – wenn auch imaginären – Ortes für die Erkenntnis bedeutet.

Folglich wird die mit den Mitteln vielschichtiger Materialien nebst medialer Eigenschaften inszenierte Rauminstallation zu einer Art „Wunderkammer“. Bestehend aus Wasser, Glas, Kunststoff und Licht brechen deren Überlagerungen die Wahrnehmung zu einem Raum für Gedanken auf, dem die Künstlerin ein eigenes (2007 in einem anderen Kontext in Hamburg gezeigtes) Objekt zugeordnet hat. Begleitet wurde dieser Denkraum durch die aus dem „Wunderapparat“ einer Kamera springenden Foto-Bilder. Dieser „Gedankenraum“ ist gebaut aus übereinandergelagerten Glasscheiben. Durchschienen vom Licht, erzeugen die sich überlagernden Glasscheiben ein grünliches Schimmern. Geformt aus quadratischen Teilen zu zwei Blöcken, Zeichen geometrischer Präzision und geformter Materie, ist das Ganze auch hochzurechnen in die Hochhausarchitektur unserer Tage mit ihren Glastürmen nebst der Paarung aus materieller Schwerkraft und illusionierter Leichtigkeit. Kraft optischer Transparenz fungieren die Glasblöcke hier als Schreibblöcke. Notiert war eine Notenkonfiguration. Die Zeichen zivilisatorischer Bändigung urzeitlicher Materialen zu Glas und zivilisatorischer Umformung archaischer Töne zu Noten ergaben ein Materialzeichen von Schichtungen sich gegenseitig bedingender Lichteinfälle, lesbar als Schichtungen sich gegenseitig bedingender Einfälle von Gedanken, abgelagert zu einem Gedankenraum sich vernetzender Erfahrungen, angewiesen auf die Fähigkeit zum Formulieren, zum Zeichengeben. Besucher konnten auf die Glasscheiben ebenfalls ihre Gedanken aufschreiben. In übereinander gestapelter Form, in der geschichteten Anordnung gerieten ihre Notizen zur Parabel für jenen „Wunderblock“, den Sigmund Freud zur Veranschaulichung der ins Unbewusste eingeschriebenen Erlebnisspuren heranzog, jene überlagerten, jedoch abrufbaren, nicht selten Zeugnis gebenden Wundnarben aus Trauma und Verdrängung. Der zum „Gedankenraum“ gefügte Schreibstift mag dabei als Verweis auf die kulturelle Tätigkeit des Menschen überhaupt stehen und zugleich als Gleichnis einer mit der Materie dialogisierenden Kraft und Fähigkeit zur Simulation.

Dieser Seh- und Gedankenraum ist zugleich ein Hörraum, ein Raum zur Aktivierung mehrer Sinne, zuweilen der synästhetischen Art. Wasser ist Leiter von Klängen und in vielen Kompositionen, in Form des Flusses Moldau von Smetana oder als Rheintöchter im Ring der Nibelungen von Wagner beschworen und mystisch aufgeladen. Gleichwohl klingt Wasser wie Musik, begleitet vom Wind der Meere und dem Rauschen der Fluten. Die in die Installation einbezogenen Klangbewegungen Hrolfur Vagnssons, dem Klangkünstler aus dem vom Meer umfluteten Island, haben sich daran orientiert.
In der Mitte des Ausstellungsraumes ist an der Decke ein von einem Motor angetriebene Kreuz platziert. Die Geschwindigkeit der Drehung ist differenzierbar von langsam bis sehr schnell, ca. 20 Umdrehungen pro Minute. Auf den Flügeln des Kreuzes sind kleine Lautsprecher montiert, deren unterschiedliche klangliche Bespielung durch die Drehbewegung einen akustischen Wirbel hervorbringt. Durch die Bewegung der Lautsprecher entsteht in der Verteilung des Klanges eine Verzögerung, die den Klang im Raum kreisförmig verteilt und durch die zeitliche Verzögerung eine Desorientierung hervorbringt. Das akustische Raumerleben steht in Analogie zum Erleben eines Wasserstrudels. Auch hier ein Energiefeld, das der Stille entlockt wurde und im Wasser verborgen bleibt, bis es hervorgelockt wird.

Die Schnittstelle zwischen dem Materiellen als purer Substanz und dem vom Materiellen durch Repräsentanz abrückenden Bild, die Schnittstelle die Ute Seifert mit ihrer komplexen Installation „Stille Wasser“ ansteuert, operiert mit der Erkenntnis von differenten Umgangsweisen mit der Welt und evoziert ebenso das Bild des Künstler-Alchimisten wie des forschenden Künstlers. Es begegnen sich hier fokussierende Dinggläubigkeit und Ich-Repräsentanz mit Zwischenräumen aus Kontexten und Übergängen, es konfrontiert die Materie mit der Form, was auch als Konfrontation von weiblicher Materie und männlicher Form ausgelegt werden könnte, und es überlagert sich Objekt und Bild als zwei Zuständigkeiten der Welterkenntnis.

Die Qualität dieser Ausstellung resultiert aus einer wahrnehmbaren Überlagerung polarisierender Zustände. Es geht darum, die jeweiligen Pole einzubeziehen und die Überschneidung der Differenzen als notwendig für den Lebensprozess auszuweisen. Wasser erscheint als das Lebenselexier schlechthin, mit existenziellen Eigenschaften, die zunehmend kostbarer werden, hier aber vor allem auf ihre ästhetischen, sinnlich wahrnehmbaren Substanzen befragt werden.

Und welche Schlüsse sind daraus zu ziehen? Ohne Stofflichkeit keine genetische Substanz, ohne Bild kein begreifendes Erkennen. Und – bezogen auf diese Ausstellung: ohne Lichtung und Transparenz kein Ort der Einblicke zulässt, -Einblicke in die durch Zeitschichten beschriebenen und dadurch lesbar gewordenen – in verborgenen Quellen, in stillen Wassern jedoch immer noch zu ergründenden – Existenz.

Martin Roman Deppner